„Heute ist Donnerstag halb vier morgens. Ich bin wach. Die vierte Nacht in
Folge. Wecker auf halb zwei und raus aus dem Bett. Kälte? Müdigkeit? Egal.
Ich muss raus. Ich muss wissen.......
Ich muss wissen, wann die Typen ihre Runden drehen. Wir
wollen das Ding bunt machen und müssen wissen, wann diese
beschissenen
Checker ihre Pause machen. Das gehört dazu. Da sind wir
akribisch. Da sind
wir vorsichtig. Alles andere ist gefährlich. Deshalb gibt’s auch
keine Handys, keine Mails. Alles face to face. Die SoKo ist überall. Die
wollen
unseren Arsch, aber wir sind gut. Gut, schnell und vorsichtig.
Auf der Arbeit fragen sie mich die ganze Zeit, ob ich krank bin.
Ich habe
Augenringe. Ich habe in dieser Woche vielleicht 12 Stunden
geschlafen.
Alles für die eine viertel Stunde. Wir wissen jetzt, wann wir es
machen
können. Alles nur für den einen Zug. Eine viertel Stunde muss
reichen. Dann
ist das Ding bunt und fährt. Dann kann ich vielleicht wieder
schlafen, aber
dann wartet schon der nächste Zug. Ist so. Ist immer so. Immer on
the run.
No Sleep Till Brooklyn. Einfach on the run!"
Was treibt Jugendliche und teilweise auch noch erwachsene Männer dazu, sich
ihre Nächte um die Ohren zu schlagen, Überwachungskameras zu überbrücken,
den Wachschutz zu beobachten und hohe Geld- sowie Haftstrafen in Kauf zu
nehmen? Was treibt diese Menschen dazu, tonnenweise Geld in Sprühdosen zu
investieren, keine Gegenleistung dafür zu erhalten und letztendlich nur in
einem extrem kleinen Kreis zu Ruhm und Ehre zu gelangen?
UNLIKE U taucht ein, in eine Szene, die für
Außenstehende schlichtweg nicht nachvoll-ziehbar ist. Es ist die Welt
der Trainwriter, derjenigen
Graffitikünstler also, die sich auf das Bemalen von
S-und U-Bahnen
spezialisiert haben. Extrem verdeckt. Extrem kriminell.
Extrem verboten.
UNLIKE U beleuchtet vier Generationen von Sprühern in Berlin, wovon die
Ältesten der Hardcore-Artisten mittlerweile schon 40 Jahre alt sind und die
Jüngsten um die siebzehn. Alle Protagonisten aber haben eines gemeinsam.
Jeder von ihnen hat in seinem Leben schon unzählige Züge bemalt und einige
von ihnen sogar um die 1000.
Mit intensiven Interviews versuchen die Filmemacher den Beweggründen der
Sprüher auf die Spur zu kommen und herauszuarbeiten, was genau der Kick an
einer Sache ist, die in der Öffentlichkeit keine Anerkennung bekommen kann.
Denn schließlich handelt es sich nach offizieller Lesart um besonders
schwere Sachbeschädigung und besprühte Züge, werden so schnell wie möglich
aus dem Verkehr gezogen. Die Wahrscheinlichkeit also, dass ein Sprüher sein
Werk in Vollendung, sprich als fahrende Leinwand zu sehen bekommt ist
äußerst gering. Worin also besteht der Wert dieser Aktionen? Worin besteht
die Selbstbestätigung? Was treibt diese Menschen an?
Die Filmemacher Henrik Regel und Björn Birg tauchten tief ein in den Kosmos
der Trainwriter. Neben erstklassigen Interviews wurde ihnen auch Material
zugespielt, das so noch nie zu sehen war. Der Film zeigt Hintergründe zu
bestimmten Aktionen und geschichtsträchtiges Material vom legendären Corner
an der Friedrichstraße, dem Treffpunkt der Berliner Sprüher in den 90er
Jahren. Dem Ort also, an dem der Mythos der Berliner Writerkultur ihren
Anfang nahm.
In diesem Sinne ist UNLIKE U auch kein normales Graffitivideo, in dem Action
auf Action und Zug nach Zug gezeigt wird, sondern das einfühlsame Portrait
einer Szene, die so noch nicht zu sehen war.
Dieser Film schreibt und beinhaltet die faszinierende Geschichte einer
Kultur, die ansonsten im Verborgenen bleibt und trotzdem alle Eigenschaften
einer eigenständigen Kunstrichtung besitzt mit einem ganz eigenen
räumlichen, zeitlichen und inhaltlichem Bezug.
Über sieben Jahre arbeiteten die Filmemacher an dieser
Dokumentation und
erarbeiteten sich so das Vertrauen einer Szene, die man
durchaus als
geschlossenen Gesellschaft bezeichnen könnte. Trotz
allem verlieren sie
dabei nicht die kritische Distanz zum Thema und zeigen
auch die
Schattenseiten einer Sprüherexistenz, die von sozialer
Ausgrenzung, über
Realitätsverlust bis hin zum Selbstmord reichen.
Die ständige Angst entdeckt zu werden. Die Paranoia, die
sich bis zum
Verfolgungswahn auswachsen kann hinterlässt Spuren und
auch das macht diese
Dokumentation offensichtlich. Die Welt der
U-Bahnschächte und bewachten
Zugbahnhöfe ist nicht nur strafrechtlich ein
gefährliches Pflaster. Weit größer scheint die Gefahr zu sein, von
diesem schwarzen Loch aus Adrenalin,
Angst und verschworener Gemeinschaft angezogen und letztendlich aufgesogen
zu werden und so sind einige der Protagonisten, die in diesem Film zu sehen
sind oder deren Kunstwerke gezeigt werden, tatsächlich verloren. Gone
forever.
Die Intensität, mit der diese Künstler ihre Passion leben ist faszinierend,
und der Film zeigt auch die Radikalität, die man besitzen muss, um ein
solches Leben zu führen.
Jede Nacht raus, um halb 2, damit man nach vier Wochen vielleicht weiß, wann
die Wachmannschaften Pause machen und man endlich zuschlagen kann. Das Ding
bunt machen und vielleicht fährt es ja dann auch. Das ist nicht viel, für
manche aber das ganze Leben. On the run, eben! Forever!
Unlike U – Trainwriting in Berlin - DVD Trailer
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